Briefwechsel der Brüder Grimm

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Briefwechsel der Brüder Grimm mit Gustav Hugo
Kritische Ausgabe - Band 3

Briefwechsel der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm mit Gustav Hugo, hrsg. von Stephan Bialas.  2003. (474 S., 49,80 €; Bestellmöglichkeit)

Der nahezu vollständig überlieferte Briefwechsel zwischen Gustav Hugo, dem Göttinger Mitbegründer der sogenannten Historischen Rechtsschule, und den Brüdern Grimm ist ein Gelehrtenbriefwechsel besonderer Art, der weit über den rein wissenschaftlich motivierten Gedankenaustausch hinausgreift. Vielmehr spiegelt die ausgesprochen persönliche und vertrauensvolle Korrespondenz die freundschaftlichen Beziehungen zwischen den Schreibern und ihren Familien sowie deren Schicksale wider und vermittelt neue Aufschlüsse über den privaten Alltag, Charaktereigenschaften, Mentalität und individuelle Anschauungen.

Gustav Hugo, von 1788 bis zu seinem Tode 1844 in Göttingen lebend, versteht sich als Repräsentant des „alten Göttingen“ und seiner berühmten Universität, die er gegen das „neue Göttingen“ entschieden verteidigt. Zugleich tritt er als Mittler zwischen Jacob und Wilhelm Grimm und deren zahlreichen Göttinger Freunden auf. Dies kommt besonders ab 1837 / 38 zum Tragen, als die Grimms infolge der gemeinsam mit fünf anderen Professoren unterzeichneten „Protestation“ gegen den offensichtlichen Verfassungsbruch des Königs Ernst August II. die Stadt verlassen mussten.

Aus dem Briefwechsel der Berliner Jahre

Die provinzialstände haben dem könige ein großes gemälde verehrt, welches die huldigung in Berlin im j. 1840 darstellt; das ist jetzt in der academie, zugleich zum besten der armen, ausgestellt. mittelst eines anachronismus befinden sich auch Schelling, Tieck, Cornelius und wir beide unter den zuschauern. wir hatten einladung erhalten dem mahler zu sitzen, aber meine frau ist mit der ähnlichkeit nicht zufrieden, wie das gewöhnlich mit frauen der fall ist; sie meinen das original sei beßer, und das ist recht gut. (W. Grimm an Hugo, 21. November 1843)

mein grundsatz ist von allem, was man hier hört, vorerst nichts zu glauben. (W. Grimm an Hugo, 21. Oktober 1841)

Die eisenbahn hat auch ihren eigenen einfluß auf die geselligen verhältnisse, da sie menschen zusammenbringt, die sich sonst nie gesehen hätten. (W. Grimm an Hugo, 14. November 1841)

die wintergesellschaften stehen jetzt in voller blüte, und bei aller zurückhaltung von meiner seite muß ich doch mehr zeit daran geben, als mir lieb ist. […] dabei das schlechte wetter und die weiten wege, hin zu kann man eine droschke haben, aber um halb 11 uhr verschwinden sie, da muß man sich einen besondern wagen bestellen und noch der bedienung, die einem die treppe herableuchtet, geld in die hand drücken. das ist alles viel einfacher und vertraulicher in Göttingen. dazwischen streichen die fremden wie die schnepfen. (W. Grimm an Hugo, 7. November 1842)

Den brand des opernhauses habe ich erst ¼ nach 11 uhr bemerkt als ich eben zu bett gehen wollte, noch ein mal zum fenster hinaussah und die nebenliegenden häuser in rothem widerschein erblickte. ich gieng auf den balcon und sah die glutwolken gerade über Savignys garten, so daß ich glaubte dessen ministerium stehe in brand. in der Lennestraße war noch tiefe stille, auch von dem lärm hörte man nichts, endlich kam jemand der verkündigte wo der brand aus gebrochen sei, es sei schon alles bis zur charlottenstraße mit militär besetzt und nicht mehr durchzukommen […] Als dem könig in Potsdam der brand des opernhauses gemeldet wurde, war seine erste frage nach der bibliothek, und als er hörte daß sie gerettet sei, war er beruhigt. (W. Grimm an Hugo, 4. / 6. September 1843)

Der Herausgeber Stephan Bialas über Gustav Hugo und seine Beziehung
zu den Brüdern Grimm

Der Briefwechsel, den Jacob und Wilhelm Grimm mit Gustav Hugo führten, gehört zu den umfangreicheren, nur fragmentarisch und unzuverlässig edierten, aber handschriftlich nahezu vollständig überlieferten Korrespondenzen der Brüder. Es handelt sich in Anbetracht der daran beteiligten Personen um eine Gelehrten-Korrespondenz, nicht aber um eine gelehrte, wie sie etwa Jacob Grimm mit Georg Friedrich Benecke oder Karl Lachmann führte. Sie reicht tief in Persönliches und macht dieses im Kontext des Politischen und Zeitgeschichtlichen zum Gegenstand des Schreibens — vergleichbar mit dem Briefwechsel der Grimms mit Friedrich Christoph Dahlmann und Georg Gottfried Gervinus oder Friedrich Blume. Sie besitzt „vertraulichen“ Charakter in bezug auf Inhalt und Art der Darstellung, gar „familiären“, sofern sie das private Lebensumfeld der Mitglieder zweier Familien spiegelt: Wilhelm, Dorothea und Jacob Grimms sowie Gustav Hugos und seiner Tochter Pauline, der Gemahlin Carl Otfried Müllers und Freundin Dorothea Grimms. Nicht zufällig ist Wilhelm Grimm, „ein Briefschreiber nicht vornehmlich aus sachlichem, sondern aus persönlichem Bedürfnis“, der aktivste der beteiligten Schreiber.

Gustav Hugos herausragende Stellung innerhalb der Wissenschaftsgeschichte des ausgehenden 18. und des beginnenden 19. Jahrhunderts ist unter Fachgelehrten ebenso unbestritten wie die Tatsache, dass die Wirkungen, die sein Werk über seine Lebenszeit hinaus ausübte, gering blieben. Bereits zwei Jahre vor seinem Tode wurde er zu den Verstorbenen gezählt (vgl. Brief Nr. 216, 43—46 und die Erläuterungen dazu), und nicht ohne Grund: Hugos Werk bestand eben „nur aus einer Handvoll Kompendien“, aus juristischen Lehrbüchern.

Gering achteten die jüngeren, „aufgeklärten“ Zeitgenossen die wissenschaftliche Potenz eines greisen Professors der Rechte, der stets das Dozieren, das Lesen vor Publikum als Kern seines Schaffens verstanden hatte. Als Inbegriff des modernen Rechtsgelehrten galt ihnen Friedrich Carl von Savigny, der die streng geschichtliche Methode der sogenannten Historischen Schule aufgegriffen und daraus — mit großem schriftstellerischen und finanziellen Aufwand wie auch Erfolg — sein „System des heutigen römischen Rechts“ entwickelt hatte. Dieser, einstiger Marburger Lehrer der designierten Juristen Jacob und Wilhelm Grimm, scheute sich nicht, in den großen rechtsphilosophischen Debatten der Zeit öffentlich das Wort zu ergreifen, avancierte schließlich sogar zum Minister.

Popularität dieser Art erlangte und erstrebte Gustav Hugo nicht. Die von ihm verfassten Bücher waren systematisch ordnende Lehr-Werke, welche Studenten die Aneignung juristischen Grundwissens erleichtern sollten. Das ihm von heutigen Rechtshistorikern attestierte Verdienst, neben seinem Göttinger Amtsvorgänger Johann Friedrich Reitemeier der erste gewesen zu sein, der sich der synchronistischen Darstellungsweise — Einteilung der Rechtsgeschichte in Epochen und Aufstellung einer Systematik für jede dieser Epochen — bedient habe, erscheint im rechten Licht, wenn es im Zusammenhang mit dem Selbstverständnis des Universitäts-Lehrers gesehen wird. Überdies war Hugo „ein wahrhaft philosophischer Kopf, wenn man darunter nicht bloß denjenigen versteht, der ein philosophisches System zu ersinnen vermag, sondern auch den, der mit scharfem Blick die Dinge von allen Seiten zu betrachten und mit treffendem, eindringendem Urteil zu würdigen imstande ist“, was die außerordentliche Anziehungskraft seiner Vorlesungen, besonders der Kollegien über Naturrecht, auf Generationen von Studierenden erklärt.

Geboren am 23. November 1764 in Lörrach als Sohn eines angesehenen badischen Beamten, geschult in Mömpelgard und am Karlsruher Gymnasium Illustre, gebildet an Montesquieu und Kant, bezog der 18jährige Gustav Wilhelm Hugo mit Beginn des Wintersemesters 1782 die Universität Göttingen. Er verließ sie nach sechs Semestern, um die übliche Bildungsreise zu unternehmen und dann für die Dauer von zwei Jahren Erzieher bzw. Lehrer der Prinzen Friedrich und Hans George von Anhalt-Dessau zu werden, ließ sich am 10. Mai des Jahres 1788 in Halle zum Dr. jur. promovieren und erhielt durch Fürsprache seiner Lehrer — des Juristen Johann Stephan Pütter, des Historikers Ludwig Timotheus Spittler und des Philosophen Georg Heinrich Feder — sowie auf Betreiben Christian Gottlob Heynes im Herbst 1788 ein Extraordinariat für Rechtswissenschaft an der Göttinger Georgia Augusta. Im Juni 1792 wurde er ordentlicher Professor, 1802 Hofrat, 1807 Mitglied der sogenannten Honorenfakultät, 1819 Geheimer Justizrat.

Zweimal war Hugo Prorektor. Beide Amtsperioden fielen in die Zeit des Bestehens des Königreichs Westphalen, und die administrativen Beziehungen zwischen den Kasseler Behörden und der ihnen unterstehenden Universität führten ihn wiederholt nach Kassel. Vermutlich ergaben sich daraus erste persönliche Kontakte zu Jacob Grimm.

Mit Ausnahme von kleineren Reisen und Ferienaufenthalten in Berlin, der Heimatstadt von Julie Mylius, mit der er sich 1797 vermählte, verließ Hugo Göttingen nach 1788 nicht mehr. „Sein Lebenswerk ist eine Emanation göttingischen Geistes und hat zugleich den Begriff vom spezifisch Göttingischen mitbestimmt“, wie es auch J. Grimms Glückwunsch zum Doktorjubiläum (Brief Nr. 29) mit noch weitaus mehr, dem Anlass entsprechendem Pathos ausdrückt. Hugo verteidigt denn auch im Rahmen der Korrespondenz das Ideal des „alten Göttingen“, das er nach dem Tod König Wilhelms IV. zugrunde gehen sieht und als dessen Vertreter er sich zeitlebens fühlt, gegen das „neue Göttingen“, das ihm fremd war und das auch den 1829 nach Göttingen berufenen Brüdern fremd bleiben musste (vgl. u. a. die Briefe Nr. 46 und 47). Der Briefwechsel der Jahre 1837—1844 spiegelt demnach die Geschichte der Georgia Augusta nicht nur dieser Zeit, sondern auch der vorausgehenden Jahrzehnte wider. Jener Universität, der sich auch Jacob und Wilhelm Grimm eigentlich auf Lebenszeit verschrieben hatten, bevor sie im Dezember 1837 entlassen wurden.

Billet Gustav Hugos an die Brüder Grimm vom 14. Dezember 1837

Gustav Hugo macht die Brüder Grimm am Tag ihrer Entlassung von der Universität Göttingen darauf aufmerksam, dass es ähnliches an deutschen Universitäten seit mehreren hundert Jahren nicht gegeben habe.

Die politischen Ereignisse des Jahres 1837, die Aufhebung des Staatsgrundgesetzes für Hannover durch König Ernst August II., die „Protestation“ der sieben Göttinger Professoren und ihre Folgen sind ein zentrales Thema des Briefwechsels. Hugo trat dabei als Verfechter der Interessen der Georgia Augusta auf, der er für mehr als drei Viertel seiner Lebenszeit verbunden war und deren Rechte er eingeschränkt sah. Er lehnte, wie die große Mehrheit der Göttinger Professoren, das Vorgehen des Königs ab, und er versprach sich vom Einschreiten der Bundesversammlung die Zurücknahme des königlichen Patents vom 1. November 1837, auf dem die Aufhebung der Verfassung von 1833 beruhte.

Hugos Ansichten und Urteile in der Sache, die er als einer der führenden Rechtsgelehrten im Königreich auch als die seine betrachtete (vgl. Brief Nr. 30, 1 und die Erläuterung dazu), sind vom Standpunkt des Juristen und Universitätslehrers aus gefällt, aber auch Ausdruck einer persönlichen Unabhängigkeit, wie sie den Grimms oder Dahlmann als direkt Betroffenen fehlte. Parteienstreit verabscheute er; die Rolle des Vermittlers entsprach seinem Charakter eher. Dabei liebte er es, seine (materielle und soziale) Unabhängigkeit wie seine Prinzipienfestigkeit demonstrativ zu behaupten: Wilhelm Grimm nahm er im Oktober 1838 für zweieinhalb Wochen in sein Haus auf, da dessen Göttinger Quartier bereits gekündigt, die Kasseler Wohnung im Hause des Bruders Ludwig Emil aber noch nicht bezugsfertig war — ein bewusster Affront gegenüber dem Verfasser der Entlassungsreskripte Justus Christoph Leist, dessen Schwägerin ebenfalls bei Hugo wohnte. Die vom Akademischen Senat und Universitätskuratorium vorbereitete öffentliche Feier seines Doktorjubiläums ließ er absagen und verbrachte den Tag in Kassel (vgl. Erläuterung zu Brief Nr. 29, 36).

Hinsichtlich der Entwicklung des Verfassungskonfliktes war Hugo zudem ein wichtiger Informant. Die meisten Justizbeamten des Königreiches Hannover kannte er persönlich; fast alle hatten in Göttingen studiert und bei ihm Kollegien belegt. Seine „Quellen“ waren häufig zuverlässiger als andere.

Als Vermittler trat Hugo auch in anderer Beziehung auf: Er half, die Verbindung der Grimms zu Göttingen und ihren dortigen Freunden aufrechtzuerhalten, zu Friedrich Lücke, Heinrich Ritter, Wilhelm Weber. Und er knüpfte für sie neue Kontakte wie im Falle Gabriel Riedels, den er als Mitarbeiter fürs „Deutsche Wörterbuch“ gewann. Seine auf einen Hüftschaden, der ihn am Gehen hinderte, zurückgehende Gewohnheit, beinahe täglich im eigenen Wagen Göttingen und die Göttinger Umgebung zu befahren, wozu er sich im allgemeinen weiblicher Gesellschaft versicherte (vgl. etwa Brief Nr. 257, 46—53), verschaffte ihm Zugang zu mancher Neuigkeit. Im Gegenzug versorgten ihn die Briefpartner mit Informationen über Personen, die er als seine Schüler betrachtete, wie Savigny, Carl Friedrich Eichhorn oder Ludwig Hassenpflug. Keinen Wert legte man auf den Austausch dessen, „was sich von selbst versteht“, wie mehrfach (zuerst in Brief Nr. 33, 4) betont wird. (Eine Konsequenz dieses Prinzips ist der weitgehende Verzicht auf Anrede- und Schlussformeln.)

Jener — quantitativ deutlich geringere — Teil der Korrespondenz, der sich mit rein wissenschaftlichen Fragen befasst, steht ganz im Zeichen von Hugos Interesse an der Geschichte der Wörter, die er stets auch als Geschichte der Sachen verstand. Hugo sah als eigentliche Quelle des Rechts die Volkstradition an, und das überlieferte Recht eines Volkes war für ihn, wie für Jacob Grimm, Teil seiner Sprache. Die Korrespondenz mit den Philologen Grimm, die ja selbst studierte Juristen waren, verschaffte ihm Einblick in sprachhistorische Zusammenhänge, um mittels historisch-kritischer Untersuchung dem veralteten und dadurch häufig verwirrenden Sprachgebrauch des Zivilrechts begegnen und in wichtigen Fragen eine bis dahin ungekannte Begriffsklarheit herstellen zu können.

(Zitate im Text aus dem Band sowie aus: Ludwig Denecke: Bibliographie der Briefe von und an Jacob und Wilhelm Grimm. In: Aurora. Jahrbuch der Eichendorff-Gesellschaft. Bd. 43 [1983], S. 175; Wilhelm Ebel: Gustav Hugo. Professor in Göttingen. Göttingen 1964, S. 6 und 22; Georg Christian Burchardi: Lebenserinnerungen eines Schleswig-Holsteiners. Flensburg 1927, S. 77)

Briefwechsel der Brüder Grimm, Band 3

Auszüge

Auszüge aus dem Band 1.1

... Inhaltsverzeichnis

... Beispielbriefe

Die Brüder Grimm. Ausschnitt aus Ölgemälde von Franz Krüger

Die Brüder Grimm. Detail aus dem Ölgemälde Franz Krügers mit der Huldigung der preußischen Stände vor Friedrich Wilhelm IV.
(Ausschnitt aus der Abbildung im Band. Original: Stiftung Preußische Schlösser und Gärten, Potsdam.)

Gustav Hugo. Porträt von Sophie von Schmerfeld

Gustav Hugo. Stich nach einer Zeichnung von Sophie von Schmerfeld mit faksimilierter Unterschrift Hugos.

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